16. September 2022 - Rafael Lutz

Wer delegitimiert hier wen?

Auch das ständige Lügen wird wiederkommen, die Desinformation, der Nebel, in dem alles seine Kontur verliert. DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley 1990 über Stasi-Methoden, die sie für die Zukunft erneut prophezeite

Die deutschen Behörden sehen ihre eigenen Bürger immer mehr als Gefahr. Die Regierung bereitet sich schon einmal auf einen politisch «heissen» Herbst vor. Brandenburgs Verfassungsschutz-Chef Jörg Müller warnte jüngst vor einem «deutschen Wutwinter». «Extremisten» könnten die Proteste gegen steigende Energiepreise instrumentalisieren.

Die Regierung schliesst inzwischen offenbar auch den Einsatz der Bundeswehr im Innern nicht aus. Dafür hat SPD-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) im Juni das «Territoriale Führungskommando der Bundeswehr» geschaffen.

Wir leben in totalitären Zeiten: Einst galten diejenigen, die Kritik am Krieg äusserten, als «Defätisten», als fünfte Agenten eines feindlichen Staates. Heute stehen sie im Verdacht einer «Delegitimierung des Staates» – eine neu geschaffene Kategorie des Verfassungsschutzes. Doch die Frage ist: Wer delegitimiert hier eigentlich wen oder was?

Ja, es sind verrückte Zeiten. Eine Regierung, die die Grundrechte auf dem Altar einer totalitären Energie- und Seuchenpolitik geopfert hat, wirft den Kritikern vor, den Staat zu delegitimieren. Nicht schlecht.

Selbstverständlich verfolgt die grosse Mehrzahl der Bürger innerhalb der Demokratiebewegung nicht die Absicht, den Staat zu delegitimieren oder zu zerstören. Im Gegenteil: Gerade die verfassungsmässige Grundordnung, auf der der Staat aufgebaut ist, gilt es wiederherzustellen.

Liegt die deutsche Regierung also falsch mit ihrer Behauptung? Leider nicht gänzlich. Denn Fakt ist auch: Es gibt Bürger, die den Staat inzwischen in Gänze ablehnen – eine Entwicklung, die nicht zu unterschätzen ist. Die ohnehin tiefen Gräben, die bereits bestehen, werden dadurch sicherlich nicht zugeschüttet. Im Gegenteil: Sie werden nur noch weiter vertieft.

Sowohl in Deutschland wie auch in der Schweiz hat sich längst eine Gruppe von Menschen gebildet, die den Staat und all seine Institutionen ablehnen – Stichwort «Mensch oder Person» (eine juristische Kritik dieser Idee von Markus Zollinger finden Sie auf TTV, siehe hier).

In diese Richtung argumentierte vergangene Woche auch eine Rednerin in Berlin an der Demo gegen das Infektionsschutzgesetz. Sie meinte, dass es in Deutschland seit 1956 keine gültigen Wahlen mehr gebe. Und alle Mandate der Politiker rechtswidrig seien. Auch seien die Bürger «keine Staatsbürger, sondern Personal».

«Das ist genau das, was unser Staat (…) hören möchte. Das ist tatsächlich Delegitimierung des Staats», meinte der sichtlich verärgerte Rechtsanwalt Markus Haintz dazu, der daraufhin aus Protest die Demo verliess. Haintz hat recht.

Solche Reden sind Steilvorlagen für die Behörden. Damit lassen sich friedliche Bürger, die auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, wiederum in eine schmutzige Ecke drängen.

Gewiss: Angesichts der Übergriffigkeit des Staats ist es nicht verwunderlich, dass Bürger auf einmal den Staat vollkommen ablehnen und als «Firma» und dergleichen bezeichnen.

Trotzdem: Ich finde, dass es solche Äusserungen abzulehnen gilt. Es macht keinen Sinn, hier Toleranz zu üben. Solche Positionen spielen nur unseren Gegnern in die Hände. Die Demokratie- und Bürgerrechtsbewegung steht auf dem Boden des Grundgesetzes und der Verfassung. Wer den Staat komplett ablehnt, hat diesen Boden jedoch bereits verlassen.

Das mag der eine oder andere womöglich nicht gerne hören. Aber Kritik muss dringend auch in den eigenen Reihen möglich sein. «Die Demokratiebewegung ist in den eigenen Reihen nicht kritisch genug (…)», schrieb Haintz in der letzten Ausgabe der Zeitung Demokratischer Widerstand. Auch hier muss ich Haintz leider recht geben.

Herzlich

Rafael Lutz

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