22. September 2022 - Konstantin Demeter

Wehe dem, der Frieden will

Krieg ist Frieden. Freiheit ist Sklaverei. Ignoranz ist Stärke. George Orwell

Wir leben in einer verkehrten Welt; das wissen wir. Dennoch wird man regelmässig überrascht, wie sehr sie Kopf steht. So hielt die Frankfurter Rundschau (FR) Ende Juli in Orwell’scher Manier den Wunsch nach Frieden für ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ihren Beitrag «Frankfurt: ‹Es wird zu dramatischen Situationen kommen›» kommentierte ein Leser: «Nein zum Krieg. Nein zu Frieren für den Krieg. Ja zu Nord Stream Zwei». Für die FR antwortete Stefan Stukenbrok:

«Die Solidarisierung mit Russlands Vernichtungskrieg in der Ukraine bringen wir in Verbindung mit § 138 Abs. 1 Nr. 5 StGB und §§ 7-13 Völkerstrafgesetzbuch (Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen oder Verbrechen der Aggression durch einen Angriffskrieg) zur Anzeige. Auch im Zweifelsfalle.»

Vermutlich wurde den Verantwortlichen bewusst, dass sie hier den Bogen überspannt hatten, denn inzwischen haben sie diese Antwort gelöscht.

Verständlicher wird sie, wenn man betrachtet, wer dahintersteht. Stefan Stukenbrok ist Head of Community Management bei IPPEN.MEDIA, der Dachmarke der Mediengruppe Ippen und ihrer Partner. IPPEN.MEDIA ist die fünftgrösste Zeitungsgruppe in Deutschland, zu der eben auch die FR gehört sowie der Münchner Merkur, die tz und andere. Im Sommer 2019 übernahm sie den deutschen Ableger des US-Portals Buzzfeed als «Ippen Investigativ». Zur Gruppe zählt auch der «Online-Food-Brand» Einfach Tasty.

IPPEN.MEDIA moderiert die Kommentarfunktion unter den Online-Beiträgen zum Beispiel von Merkur, tz oder FR und auf den dazugehörigen Facebook-Seiten. Und zu ihren Partnern gehört Google Journalism, das angeblich «Qualitätsjournalismus» unterstützt und «insbesondere lokale Medien» voranbringt. Gemeinsam mit IPPEN.MEDIA würden sie an einer «vielschichtigen Berichterstattung» arbeiten.

Ein weiterer Partner von IPPEN.MEDIA ist Traffective GmbH. Als zertifizierter Partner von Google unterstütze Traffective IPPEN.MEDIA dabei, «digitale Werbeplätze gezielt auszusteuern und zu optimieren – über alle Endgeräte hinweg», heisst es auf der Website von IPPEN.MEDIA.

Und Google ist sehr eng mit der CIA, der NSA und der Rüstungsindustrie verbunden, zum Beispiel über seine Ableger Google Federal und Google Jigsaw sowie dem vom Pentagon finanzierten Highland Forum. Google Federal wird sogar «NSA West» genannt. Bei der Lancierung 2006 stellte das Unternehmen zahlreiche Manager und Verkäufer der Armee, der Air Force, der CIA und der Rüstungsunternehmen Raytheon und Lockheed Martin ein. Und diese Akteure wollen keinen Frieden, Frieren hin oder her. Fred Burton, Sicherheitschef von Stratfor und ehemaliger Beamter des Aussenministeriums, beschreibt Google wie folgt:

«Google erhält die Unterstützung des Weissen Hauses und des Aussenministeriums sowie Schutz durch die Luftwaffe. In Wirklichkeit tun sie Dinge, die die CIA nicht tun kann.»

Gründer der Ippen-Gruppe und Mehrheitseigner einiger der Publikationen und Verlage ist Dirk Ippen. Sein Händchen für Geschäfte bewies er bereits 1948 im zarten Alter von acht Jahren, als er ein eigenes kleines Handelsunternehmen gründete. Als erstes verkaufte er im eigenen Garten gezüchteten Tabak, der damals noch sehr rar war. Das deutsche Manager-Magazin gibt sein Vermögen (Stand 2014) auf der Liste der 500 reichsten Deutschen mit rund 550 Millionen Euro an.

Im Oktober 2021 verhinderte Ippen eine Veröffentlichung seines Teams «Ippen Investigativ» über den damaligen Bild-Chefredakteur Julian Reichelt. Bemerkenswert: Mitarbeiter beklagten in einem Protestbrief, dass Ippens Veto «allen Regeln der unabhängigen Berichterstattung» widerspreche und ein «Vertrauensbruch» sei. Das vierköpfige Investigativ-Team verliess im Januar 2022 geschlossen das Unternehmen.

Für den Deutschen Journalisten-Verband war Ippens Vorgehen «ein massiver Eingriff in die redaktionelle Unabhängigkeit und die innere Pressefreiheit der Redaktion». In einem schriftlichen Interview mit der taz bedauerte Ippen seine Entscheidung. Dennoch hält er es für «nicht gut, wenn eine Redaktion über die andere schreibt, ein sogenannter Pressekrieg». Gemäss der taz könnte die Entscheidung des Verlegers auf Geschäftsinteressen beruhen, denn bis Ende Jahr wird eine Teilauflage der Bild in einer Ippen-Druckerei hergestellt.

Ein Pressekrieg soll es nicht sein. Doch unabhängig davon, wie man zum Fall Reichelt steht, sollten Journalisten über allfällige Verstösse bei anderen Publikationen berichten. Oder hat Ippen Gründe, Angst zu haben, dass dann zurückgeschossen wird?

Kein Verbrechen gegen die Menschlichkeit wittert die Frankfurter Rundschau anscheinend bei der Aussage des ukrainischen Generalstabsvertreters Olexij Hromow, in den zurückeroberten Orten im Gebiet Charkiw würden aktuell «Säuberungen vom Gegner» andauern. Die FR kommentiert die von ihr zitierte Aussage nicht. Dabei müsste sie fragen, was das genau bedeutet. Denn falls gefangene Soldaten davon betroffen sein sollten oder gar Zivilisten, welche die Russen begrüsst hatten, würde es sich um Kriegsverbrechen respektive Verbrechen gegen die Menschlichkeit handeln.

Herzlich

Konstantin Demeter

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