03. April 2022 -

Verstehe, wer kann!

Ukraine-Krieg und Corona-Pandemie: Die Parallelen in der Berichterstattung über beide Ereignisse sind frappant. Auf den totalitären und totalitaristischen Charakter beider Diskurse habe ich bereits hingewiesen.

Heute möchte ich eine weitere Gemeinsamkeit ansprechen: Die sorgfältige und stichhaltige Auseinandersetzung fand und findet zweifellos auf der corona-kritischen Seite statt. Und bei den Analysen zum Ukraine-Krieg macht die NATO-kritische Seite eindeutig die bessere Figur.

Geistreiche und differenzierte Beiträge scheinen vor allem von denen zu kommen, die zumindest ein bisschen versuchen, Putins Vorgehen zu verstehen. Vielleicht ist das kein Zufall.

Ein Zusammenhang zwischen Denken und Verstehen lässt sich nun wirklich nicht von der Hand weisen. Und nein, verstehen heisst nicht rechtfertigen. Um es mit dem französischen Philosophen Edgar Morin auszudrücken: «Es ist eine weitverbreitete intellektuelle Schwäche, eine Erklärung als Rechtfertigung zu betrachten.»

Verstehen kann einfach nur bedeuten, dass man den Sinn von Worten, die irgendwo geschrieben stehen oder aus dem Mund eines Politikers kommen, nachvollzieht und begreift. Ken Jebsen hat kürzlich in seiner starken Bautzener Rede die Messlatte noch niedriger angesetzt: «Ich bin ein Putin-Versteher. Weil Putin spricht deutsch. Und zwar besser als unsere Aussenministerin.»

Natürlich «versteht» ein jeder so viel, wie seine Verstandesfähigkeit zulässt, jeder auf seine Weise. Folgendermassen versteht es der Mainstream: Der russische Machthaber ist urplötzlich durchgedreht, vermutlich wegen Hirn-Covid, gefällt sich neuerdings in der Rolle des neuen Hitler und hat sich spontan zum Ziel gesetzt, die ganze Welt in den Abgrund zu reissen. – Mag ja sein. Aber gibt es nicht auch noch so etwas wie historische Hintergründe?

Ein Schweizer Uni-Professor für Strategische Studien wagt die geschichtliche Perspektive, aber auch sein Ansatz ist eher hysterisch als historisch: Putins Vorgehen sei «geprägt durch die krankhafte Vorstellung, Kiew gehöre ins russische Imperium». Seine Kriegführung habe «offenbar als Hauptziel die Zerstörung der Ukraine».

Sorgfältiger und plausibler erscheint mir da die Analyse des ehemaligen Schweizer Geheimdienstlers und Obersts Jacques Baud. Baud war in der NATO und der UNO tätig und hat eine sehr ausführliche Einschätzung über die militärische Lage in der Ukraine vorgelegt. Wohl kein Troll oder Spinner, und sicher nicht auf den Kopf gefallen. Er eruiert die Ursache der russischen Invasion allerdings nicht in den persönlichen psychischen Problemen Putins.

Wenn man die Vorgeschichte besser kennt, erscheinen manche Unglücke – nun ja, immer noch sehr schlimm, aber zumindest weniger zufällig und irrational, gleichzeitig komplexer und facettenreicher. Wieviel Verständnis geopolitischer Probleme man bei seinen Mitbürgern sollte voraussetzen dürfen, darüber liesse sich natürlich trefflich streiten. Aber den Einwand von Caitlin Johnstone gebe ich gerne weiter:

«Es ist nicht in Ordnung, im Jahr 2022 ein Erwachsener zu sein und zu glauben, ernsthafte militärische Konflikte beständen aus den Guten, die die Bösen bekämpfen wie in einem Zeichentrickfilm für Kinder.

Es ist nicht in Ordnung, im Jahr 2022 ein Erwachsener zu sein und zu glauben, ein Krieg werde ausgefochten zwischen einem bösen Monstrum, das mit Hitler gleichzusetzen ist, und einem tugendhaften, sexy Comedian von überragender Tapferkeit und Weisheit.»

Das sollte nun meines Erachtens jeder verstehen wie nachvollziehen können.

Herzliche Grüsse

Christian S. Rodriguez

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