26. Januar 2022 - Konstantin Demeter

Ukraine, geopolitischer Drehpunkt

Liebe Leserinnen und Leser, wir erleben erneut ein gefährliches crescendo westlicher Kriegsrhetorik gegenüber Russland. Die Gründe dafür sind klar. Zum einen lässt Wladimir Putin das grösste Land der Erde mit seinen reichhaltigen natürlichen Ressourcen nicht wie sein betrunkener Vorgänger Boris Yeltsin ausbeuten. Zum anderen geht es den USA darum zu verhindern, dass sich Eurasien zu einer Kontinentalmacht zusammenschliesst, gegen die die Seeherrschaft der USA nutzlos wäre. Und die Ukraine nimmt dabei eine zentrale Rolle ein.

Verständlich wird das Ganze mit der «Heartland-Theorie», eine geopolitische Strategie, die erstmals 1904 vom britischen Politiker, Diplomaten, Geographen und Direktor der London School of Economics Halford Mackinder ausgearbeitet wurde. Mackinder bezog sich damals noch auf die Seeherrschaft Grossbritanniens. Die «Heartland-Theorie» untermauerte er später in seinem Buch «Democratic Ideals and Reality». Eine besondere Gefahr sah er in einem russisch-deutschen Bündnis.

Dementsprechend sagte George Friedman – Gründer und Präsident von Stratfor, einem angesehenen privaten Nachrichtendienst – im Jahre 2015, dass es das ureigene Interesse der USA sei, eine Beziehung zwischen Deutschland und Russland zu verhindern. Gemeinsam wären sie die einzige Kraft, die die USA bedrohen könnte. Dafür würden die USA seit einem Jahrhundert Kriege führen – der Erste und der Zweite Weltkrieg sowie der Kalte Krieg.

Einmal mehr sei Deutschland «Europas grundlegender Makel», erklärte Friedman. Denn es sei «wirtschaftlich mächtig und geopolitisch anfällig». Abgespalten von der EU könnte es wieder nach Osten blicken, um die uralte Angst vor «deutschem Kapital und Technologie plus russischen Ressourcen und Arbeitskräften» wieder aufleben zu lassen – ein Bündnis, das die EU eigentlich für immer begraben sollte.

Wie wichtig dabei die Rolle der Ukraine ist, erläuterte Zbigniew Brzezinski im Buch «The Grand Chessboard: American Primacy and Its Geostrategic Imperatives» von 1997. Der 2017 verstorbene Brzezinski war neben Henry Kissinger die zweite graue Eminenz der US-Aussenpolitik. Unter anderem war er Jimmy Carters nationaler Sicherheits- und Barack Obamas aussenpolitischer Berater. In seinem Buch skizzierte Brzezinski auch die Osterweiterung der NATO.

Er betrachtete die Ukraine als «ein neues und wichtiges Feld auf dem eurasischen Schachbrett», «ein geopolitischer Dreh- und Angelpunkt», der «von grösster Bedeutung» sei. Ohne die Ukraine höre Russland auf, «ein eurasisches Imperium zu sein». Der Westen, schrieb Brzezinski, sollte «das Jahrzehnt von 2005 bis 2015 als vernünftigen Zeitrahmen für den Beginn der schrittweisen Aufnahme der Ukraine [in die EU und die NATO] ins Auge fassen». So ist es sicher ein Zufall, dass der Westen 2014 in der Ukraine einen Putsch verursachte und eine Regierung installierte, die solche Aufnahmen befürwortet.

Seit der deutschen Wiedervereinigung im Jahre 1990 hat die NATO elf Länder des ehemaligen Warschauer-Paktes und vier des ehemaligen Jugoslawiens aufgenommen, trotz des Versprechens des damaligen US-Aussenministers James Baker an Michail Gorbatschow, in Ostdeutschland halt zu machen.


Quelle: Netzfund

Deutschland täte gut daran, eine Eskalation in der Ostukraine mit aller Kraft zu verhindern. Denn sollte es zu einem Krieg zwischen der NATO und Russland kommen, würde Deutschland als Basis US-amerikascher Nuklearwaffen zweifellos wiederum zum Schlachtfeld werden.

Doch Deutschland ist in der Zwickmühle: Einerseits wäre eine enge Kooperation mit Russland wirtschaftlich vorteilhaft. Andererseits geht es im Rahmen von Mackinders Theorie für die USA und Grossbritannien insbesondere darum, eine ebensolche Kooperation zu verhindern. Und selbstverständlich wollen die USA, dass Deutschland ihr verflüssigtes Fracking-Erdgas bezieht, anstatt russisches Erdgas.

Gut, dass die deutsche Aussenministerin Annalena Bearbock kürzlich bei ihrer Visite in Kiew zumindest versprach, dass Deutschland keine Waffen an die Ukraine liefern werde – im Gegensatz zu Grossbritannien und den USA, die es schon tun. Allerdings schickt Deutschland ein Feldlazarett. Das ist nicht gerade ein deeskalierendes Signal. Es ist ein fauler Kompromiss, um beide Seiten ein wenig zu befriedigen.

Herzlich

Konstantin Demeter

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