Entsprechend verhasst war der wortgewaltige Kraus in den höheren Gesellschaftskreisen Wiens. «Hier in Berlin wäre er längst ein toter Mann (…). Wohl ihm, dass er in Wien lebt», sagte der Publizist Kurt Tucholsky einst über Kraus. Heute ist der Satiriker längst in Vergessenheit geraten. Zu unrecht: Denn sein Werk könnte in vielerlei Hinsicht aktueller nicht sein.
Besonders gerne legte sich Kraus mit den etablierten Medien und Journalisten seiner Zeit an – er nannte sie auch schon mal «Fanghunde der öffentlichen Meinung» und «Pressemafia». Kraus kritisierte die Pressehäuser schon lange bevor er 1921 sein «Lied von der Presse» in Klavierbegleitung auf Schallplatte aufnehmen liess.
Unermüdlich schrieb er gegen die Kriegspropagandisten im Ersten Weltkrieg an, die mit klischierten Formulierungen ununterbrochen auf die Bevölkerungen einredeten. «In geistig bankerotten Zeiten wird statt der Anschauungsmünze das Papiergeld der Phrase verausgabt», stellte Kraus in der Fackel fest.
Für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges machte Kraus die Journalisten mitverantwortlich, die durch Propaganda und einen zunehmenden Sprachverfall auf die Masse einwirkten. Die Leute, so meinte Kraus, waren durch den Niedergang der Sprachkultur nicht mehr in der Lage, die Wirkungen und Auswirkungen der Nachrichten imaginär zu verarbeiten. Die Vorstellungskraft war durch Sprachverhunzung abgestorben.
Kraus attackierte zudem die Heuchelei der etablierten Presse: So die Tatsache nämlich, dass eine Handvoll Medienunternehmer gewaltigen Reichtum anhäuften, während ihre Zeitungen den Lesern einredeten, dass die Gesellschaft immer demokratischer werde.
Kritik von gestern? Denkste. Man denke hier nur an die grossen Schweizer Medienhäuser, die während der Corona-«Pandemie» ihre Gewinne noch gesteigert haben. Man denke an die gouvernementale Berichterstattung nahezu aller grossen Verlage; Verlage, die nie müde geworden sind zu betonen, wie wichtig sie für die Demokratie seien, während die Regierung diese gerade beerdigte. Auf die allgegenwärtige Phrasendrescherei wollen wir hier gar nicht weiter eingehen.
Doch nicht nur für seine Kritik an der Presse ist Kraus noch heute von Bedeutung. In Zeiten, in denen Transhumanisten den Menschen für überholt erachten und an der Verschmelzung unserer physischen, digitalen und biologischen Identität arbeiten, lesen sich Kraus’ Zeilen geradezu prophetisch.
Der Verfasser der Tragödie «Die letzten Tage der Menschheit» hegte ein grosses Misstrauen gegenüber der Rhetorik des Fortschritts, die zu seinen Zeiten allgegenwärtig war. Das frühe 20. Jahrhundert war eine Epoche, in der viele gegenüber Wissenschaft und Technologie einen uneingeschränkten Optimismus an den Tag legten. Nicht so Kraus.
Er sah die Gefahren, die damit einhergingen und das Potenzial in sich trugen, grossen Schaden anzurichten. «Den Weltuntergang datiere ich von der Eröffnung der Luftschiffahrt. Wir waren kompliziert genug, die Maschine zu bauen, und wir sind zu primitiv, uns von ihr bedienen zu lassen. Wir treiben einen Weltverkehr auf schmalspurigen Gehirnbahnen», schrieb er.
Der Satiriker sprach in diesem Zusammenhang auch von einem «Teufelswerk der Humanität», gemeint war damit die Technologie, die in einem atemberaubenden Tempo voranschritt und die Menschen mehr und mehr unterjochte und gleichzeitig enormes Gefahrenpotenzial mit sich brachte. Das Groteske lag für Kraus aber in der Tatsache, dass das Teufelswerk, das mit humanistischen Werten rein nichts am Hut hatte, sich auch noch als der Menschheit bester Freund präsentierte.
Auch hier könnten Kraus’ Gedanken kaum aktueller sein. Stichwort Künstliche Intelligenz, Internet der Dinge, Apps, QR-Codes – die permanente Überwachung gehört längst zum Alltag. Aber selbstverständlich meinen es die Leute aus dem Silicon Valley, die Protagonisten des Weltwirtschaftsforums (WEF) und ihre Konsorten nur gut mit uns. «Build Back Better» heisst die Phrase der Gegenwart.
Sowieso dienen die digitalen Technologien, die spätestens seit Corona nochmals einen enormen Auftrieb erhalten haben, ja bloss unserem Fortschritt. Ja, da kann man Kraus nur recht geben: Was für ein Teufelswerk, auf das man nicht oft genug die Scheinwerfer richten kann. Daran können wir uns bei Karl Krauss ein Beispiel nehmen.
Herzliche Grüsse
Rafael Lutz
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