09. August 2022 - Armin Stalder

Die Welt ist nicht genug

Im James Bond-Film «Die Welt ist nicht genug» aus dem Jahr 1999 geht es um eine Ölpipeline von Aserbaidschan an die türkische Mittelmeerküste. Bond sollte die skrupellose und konspirierende Tochter eines westlichen Unternehmers beschützen. Später stellte sich heraus, dass sie ihren Vater hatte umbringen lassen, um an ihr Millionenerbe zu gelangen. Weibliche Machtgier findet sich nicht nur im fiktiven Agenten-Kino. Ein Beispiel aus der Realpolitik ist etwa die US-amerikanische Politikerin Nancy Pelosi.

Die Sprecherin bzw. Parlamentspräsidentin des US-Repräsentantenhauses reiste jüngst nach Taiwan – trotz Chinas Warnungen. Man kann das Säbelrasseln bereits hören. Offenbar reicht Pelosi der US-Stellvertreterkrieg in der Ukraine gegen Russland noch nicht, nun soll wohl auch noch China, das seine Beziehungen zu Russland seit Jahren verstärkt, in einen Konflikt hineinmanövriert werden. Die NachDenkSeiten schreiben vom «bisherigen Höhepunkt einer langen Serie von Provokationen».

Das Ganze war nicht einfach ein harmloser diplomatischer Abstecher: sowohl das US- als auch das chinesische Militär wurden grossflächig mobilisiert.

Die untergehende Weltmacht USA versucht, das fortschreitende Ende ihres globalen Hegemoniestatus wie ein in die Ecke getriebenes Raubtier mit Attacken nach vorne abzuwenden. Wenn eine Weltmacht ihr Einflussgebiet gegenüber einer aufstrebenden verteidigen will, sind Konflikte vorprogrammiert, insbesondere wenn das betreffende Land vor der Haustür liegt. Ausserdem hat US-Präsident Joe Biden kürzlich erklärt, dass die USA Taiwan im Falle eines chinesischen Angriffs militärisch beistehen würden.

Ein Konflikt in Taiwan liegt für geopolitische Beobachter – ähnlich wie in der Ukraine – schon seit Jahren in der Luft. Die USA sind durch den «Taiwan Relations Act» de facto die Schutzmacht der Insel vor dem chinesischen Festland im Westpazifik; doch in nationalistischen Vorstellungen der Chinesen gehört Taiwan zu China (Ein-China-Politik).

Zudem fällt Taiwan eine globalwirtschaftliche Schlüsselposition zu. Die Welt ist abhängig von der lokalen Chipproduktion. All das Gerede von Pelosi über Freiheit, Solidarität und Demokratie ist vor diesen Hintergründen bloss Fassade und keinen Pfifferling wert. Es geht – nüchtern betrachtet – um Macht, Einfluss, Profit, persönliche Vorteile, Narzissmus. Wie immer wird das ganze Spektakel von einem Grossteil der US-treuen Medienlandschaft mit dem entsprechenden Blendwerk flankiert.

Die Geschichte weist verblüffende Parallelen zu einem weiteren James Bond-Film auf: «Der Morgen stirbt nie» (1997). Darin versucht ein Medienmogul, einen Krieg zwischen dem Westen und China zugunsten seiner Einschaltquoten anzuzetteln. Vielleicht hat sich Pelosi vom cineastischen Grössenwahn inspirieren lassen.

Man kann nur hoffen, dass Pelosis Abstecher nach Taiwan ein PR-Gag war. Denn wenn sie wirklich denkt, man könne sich gleichzeitig mit einer Atommacht wie Russland und mit dem personell stärksten Militär der Welt, das über Kernwaffen verfügt, anlegen, kann man über ihre fahrlässige strategische Torheit bloss den Kopf schütteln.

Wer nicht in die gleichen taktischen Fettnäpfchen wie Pelosi treten will, dem sei die 2600 Jahre alte Literatur des chinesischen Militärstrategen Sun Tsu mit unüberholten Gesetzesmässigkeiten als Sommerlektüre empfohlen.

Oder das Buch «Russland im Zangengriff» von Peter Scholl-Latour (†2014) – einem der letzten grossen Journalisten –, um zu verstehen, weshalb die NATO-Osterweiterung aus russischer Sicht problematisch ist und die Ukraine dabei die rote Linie darstellt. Ein Fehler, den der Westen in Form von Pelosis Visite auf Taiwan im Begriff ist, sinnübertragend zu wiederholen.

Herzliche Grüsse

Armin Stalder

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